Cayin Jazz 90 im Test: Sanfter Röhrenriese, für jeden Lautsprecher?

- Leistung
- 2x 50 Watt / 8 Ohm, 2x 50 Watt / 4 Ohm
- Eingänge
- 2x Line Cinch, 1x Phono (MM) Cinch
- Audio-Ausgänge
- 1x Lautsprecher-Paar 4 Ohm/ 8Ohm, Kopfhörer 6,3 mm, Sub Out Cinch
- Quellen kabellos
- Bluetooth 5.2 aptX HD / LDAC
- Abmessungen (BxHxT)
- 420 x 215 x 379 mm
- Preis
- 2.998 Euro
Falls du dich schon mal gefragt hast, was der Reiz an Röhrenverstärkern ist, hat der Cayin Jazz 90 die Antwort: Seidig-feiner Klang trifft auf hohe Dynamik und eine extrastabile Auslegung, die für harmonisches Zusammenspiel mit vielen Lautsprechern sorgt. Bluetooth- und Phono-Eingang bilden keine Dreingaben, sondern echten Mehrwert.
- Seidig-hochauflösender Klang mit kraftvoller Dynamik
- Relativ Lautsprecher-unempfindlich
- Bluetooth-Empfänger
- Gut klingender Phono-Eingang
- Kopfhörerausgang überzeugt auch hohe Ansprüche
- Schwer, heiß und stromhungrig
Röhrenverstärker strahlen eine ganz eigene Faszination aus – und das wortwörtlich. Dafür sorgen schon die so schön glimmenden Namensgeber. Allerdings sind sie in der Regel sehr wählerisch, was passende Lautsprecher angeht. Der Cayin Jazz 90 möchte das Gegenteil beweisen. Wir haben den 2 x 50 Watt starken Röhren-Allrounder getestet.
Große Erwartungen – schon beim Auspacken
Qualität und Quantität sind bei HiFi-Geräten nicht zwingend miteinander gekoppelt. Es gibt superteure Regallautsprecher, fantastische Leichtbau-Plattenspieler. Und inzwischen auch vorzügliche Class-D-Verstärker, die kaum größer sind als deine Handfläche. Bei Röhrenverstärkern sieht es etwas anders aus: Je gründlicher und kompromissloser sie aufgebaut sind, desto besser klingen sie, und desto größer und schwerer werden sie.

Stellt man den Cayin Jazz 90 neben einen Line Magnetic LM-216IA Plus, wirkt letzterer trotz ganz ähnlicher Leistungsdaten fast wie ein Golf neben einer S-Klasse. Dass die größere Karosserie des Cayin nicht nur heiße Luft enthält, findest du direkt beim Auspacken heraus, ohne einen Blick ins Datenblatt zu werfen: Zwischen den beiden Amps liegen nicht nur 500 Euro und einige Zentimeter an jeder Kante, sondern auch satte acht Kilo Gewichtsdifferenz.
Für einen sage und schreibe 27,5 Kilogramm schweren HiFi-Verstärker mit Phono-Eingang und Bluetooth wirkt die Preisvorstellung von knapp 3000 Euro dann gar nicht mehr so vermessen. Zumal Cayin sich vorgenommen hat, mit dem Jazz 90 einen Röhrenverstärker zu bauen, der alles kann. Natürlich nicht nur Jazz. Sondern jeden Musikstil, in praktisch jeder Lautstärke, und innerhalb eines gewissen Vernunftrahmens auch mit jeder Box. Eine gewichtige, schlagkräftige Antithese zum Klischee des mimosenhaften Leisehörer-Amps. Das hat Cayin zwar nicht wörtlich so gesagt. Aber im Hörtest kommt die Intention des chinesischen Entwicklerteams auch ohne Worte rüber.

Cayin Jazz 90 im Hörtest: Weiter Raum, anspringende Dynamik
Im Hörraum verbinden wir den Jazz 90 mit unseren nicht übertrieben anspruchsvollen, aber auch nicht explizit röhrenfreundlichen Tannoy Legacy Eaton. Deren Wirkungsgrad ist mit sehr ordentlichen 89 dB/Wm angegeben, die nominelle Impedanz beträgt acht Ohm. Die meisten Röhrenverstärker kontrollieren diesen Lautsprecher aber besser mit ihren 4-Ohm-Ausgängen. Die bauartbedingten Impedanzschwankungen der Box haben da einen geringeren Einfluss auf den Verstärker-Frequenzgang.

Dem Jazz 90 scheint das weitgehend egal zu sein. Dass er über seine Acht-Ohm-Klemmen mehr Dynamik liefert, ist nichts Besonderes. Das machen andere Amps genauso. Fast immer jedoch leidet gleichzeitig die tonale Ausgewogenheit: Die Endstufe beginnt, auf den kleinen Impedanzbuckel am Übergang zwischen Mittel- und Hochtöner zu reagieren. Wodurch sie leicht vordergründig oder hell klingen kann.
Mit dem Jazz 90 bleibt der Ton vorbildlich ausgewogen. Die Becken auf Ghost of the Past vom Prince Lasha Quintet fluten den Raum mit ihren metallischen Oberwellen, Sax und Flöte blasen griffig, aber nicht zu dünn. Im Vergleich zum exzellenten, technisch nicht unähnlichen Line Magnetic LM-216 IA Plus wirft der Cayin vor allem Dynamik und Raumtiefe in die Waagschale.

Das Studiogeschehen, aufgenommen vor unglaublichen sechs Dekaden, kommt uns ein paar Schritte weiter aus der Lautsprecherebene entgegen. Die Aufnahme scheint mehr von unserem Hörraum Besitz zu nehmen, die Grenze zwischen Studio und Hörraum wird durchlässiger, wenn der Cayin spielt.
Triodenmodus (nicht nur) für besinnliche Stunden
Neben der erwähnten Impedanzanpassung bietet der Jazz 90 eine weitere Einstellung, die den Klang beeinflusst: Mit einem kleinen Kippschalter auf dem Oberdeck kannst du die Schirmgitter seiner Endstufenröhren deaktivieren. Die Tetroden verhalten sich dann wie Trioden, mit deutlich geringerer Effizienz, aber noch natürlicher wirkendem Klirrspektrum. Am kleineren Cayin MT-35 Mk3, der diese Option ebenfalls bietet, war diese Triodenoption eher etwas für gewisse, besonders kuschelige Stunden. Der 1600-Euro-Amp legte unüberhörbar an Klangschönheit zu, büßte aber auch Autorität und Dynamik ein – vor allem im Bass.

Der Jazz 90 dagegen rockt als Quasi-Triode fast genauso kernig wie im doppelt so leistungsstarken Ultralinearbetrieb. Manchmal quillt ihm dabei der Bass ein wenig aus der Form, wie ein besonders gelungenes Soufflé. Aber davon abgesehen bietet der Triodenmodus hier eine wirklich verlockende Alternative mit sonorem, irgendwie noch organischer wirkendem Ton, vor allem bei Stimmen und Streichern. Für Stoner Witch von den Melvins kann man sich ja jederzeit per Schalter-Klick maximale Kontrolle zurückholen. Und muss prompt um seine Lautsprecher fürchten: Den dekonstruierten Sludge-Metal dieses epochalen Albums haben wir selten so wuchtig und überwältigend erlebt wie über den Jazz 90.
Raritäten der Röhrenwelt
Natürlich finden wir auch Alben, die keinen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Der Tidal-Stream von UK Grim von den Sleaford Mods etwa scheint deren ätzende Bissigkeit und rumpelnde Beats glatt streichen zu wollen wie eine Silikonfuge. Aber das sind dann Mastering-Entscheidungen, auf die wir und unser Amp keinen Einfluss haben. Obwohl wir natürlich die LP auflegen können! Die in diesem Fall tatsächlich dynamischer, bösartiger und spannender klingt. Dazu brauchen wir nicht mal einen externen Phono-Vorverstärker, sondern müssen nur unseren Rega Planar 3 danebenstellen. Der eingebaute MM-Phono-Eingang des Jazz 90 erledigt den Rest, und das sogar sehr gut.

Positiv überrascht sind wir auch vom Bluetooth-Eingang, der uns komplett vergessen lässt, dass diese Übertragungsform datenreduziert und mithin verlustbehaftet ist. Egal, ob eine Playlist vom Smartphone läuft oder ein BT-Plattenspieler wie der Technics SL-40CBT aus dem Nachbarraum Musik sendet: Der Cayin macht das Beste draus. Wobei seine klanglichen Auflösungsfähigkeiten so enorm sind, dass er wirklich die allerbesten Quellen verdient hat. Feinste Player und Streamer, in Phono-Haushalten die edelsten Analoglaufwerke. Und bei konsequenter Herangehensweise dann eben doch auch externe Phono-Preamps – gerne ebenfalls in Röhrentechnik.
Wie der Cayin Jazz 90 im Vergleich mit anderen Röhren-Amps abschneidet, verrät dir unsere Bestenliste:
Das steckt im Jazz 90: Cayin im Praxis-Check
Im Jazz 90 treffen die Phono-Signale zunächst mal nicht auf das Steuergitter einer Elektronenröhre, sondern auf rauscharme Transistor-Opamps, die die zarten Strömchen erst mal auf Line-Niveau bringen und von ihrer RIAA-Vorverzerrung befreien. Diese verantwortungsvolle Tätigkeit lässt sich zwar auch mit Röhren ausführen, braucht dann aber viel Platz und Geld. Beides Güter, die in einem Vollverstärker wie dem Jazz 90 nicht unbegrenzt verfügbar sind.

Nach der Phono-Vorverstärkung treffen die Signale auf Eingangswahl-Relais, die zwischen ihnen, den beiden Line-Inputs und dem Bluetooth-Digitalboard umschalten. Das gewählte Signal passiert alsdann je Kanal eine 12AX7-Doppeltriode, die die Vorstufe darstellt. Als Treiber dienen ebenfalls Doppeltrioden, nun aber deutlich habhaftere 6SN7, die das chinesische Psvane-Röhrenwerk im Cayin-Auftrag in der klassischen Coke-Bottle-Kolbenform baut.
Die Endstufe beschäftigt zwei Paar KT88 – eine gebräuchliche HiFi-Röhre, die in den 1950ern explizit für Audioanwendungen entwickelt wurde. Cayin entlockt den Röhrenpaaren je 50 Watt, im Triodenbetrieb fällt die Leistung auf 28 Watt pro Kanal.

Dass der Verstärker subjektiv viel stärker wirkt, verdankt er nicht nur den Röhren selbst, sondern vor allem seinen mächtig überdimensionierten Ausgangsübertragern. Die Übertrager sind bei einem Röhrenverstärker klangbestimmend. Sie legen auch fest, wie der Amp mit realen Lautsprecherlasten zurechtkommt. Hier war die Maßgabe maximale Bandbreite bei möglichst niedrigem Ausgangswiderstand. Will man beides erfüllen, wird das viellagige Konstrukt aus Eisen-Nickel-Blechstapeln und lackiertem Kupferdraht zwangsweise groß, schwer und teuer.
Mit der Kraft der drei Trafos
In der Mitte zwischen den beiden massiven Übertrager-Quadern nimmt auf dem Oberdeck des Jazz 90 der Netztrafo Platz – ebenfalls ein Cayin-Eigengewächs, und gleichermaßen überdimensioniert. Unter der gemeinsamen Blechhaube konzentrieren diese drei Transformatoren einen großen Teil des Gewichtes des Jazz 90. Die Fläche davor dient als Paradeplatz für die insgesamt acht Röhren, die ab Werk bereits installiert sind, aber jederzeit getauscht werden können.

Nicht, dass das ständig nötig wäre: Bei ordnungsgemäßer Behandlung halten selbst die Endröhren meist viele Jahre, die kleineren Kolben dagegen fast ewig. Cayin schließt die Röhren sogar ausdrücklich in die zweijährige Garantie mit ein – ein ungewöhnlicher Schritt, der vom Vertrauen in das verwendete Material zeugt.
Wie alle Röhren altern die KT88 im Lauf ihrer Lebenszeit. Ab und an – alle 100 oder 200 Stunden – solltest du ihre Ruheströme kontrollieren und gegebenenfalls neu abgleichen. Dank eingebautem Messinstrument und von oben zugänglichen Trimmpotis ist das eine Sache von Sekunden.

Statt die restliche Zeit traurig seinen Zeiger hängen zu lassen, macht sich das VU-Meter zusammen mit einem zweiten Exemplar beim Musikhören als Leistungsanzeige nützlich. Auch der 6,3-mm-Kopfhörerausgang wird direkt aus den Endröhren und den Ausgangsübertragern gespeist. Das funktioniert sehr gut und macht einen separaten Kopfhörerverstärker meist überflüssig.
Praktische Aspekte
Eine Standbyfunktion hat der Cayin nicht. Er ist entweder an oder aus, je nach Stellung der knackigen Schaltwippe auf der linken Geräteseite. Im Betrieb genehmigt sich der Jazz 90 bis zu 320 Watt aus der Steckdose, im Leerlauf sind es etwas weniger. Über Nacht laufen lassen würden wir den Amp aber nicht – schon um die Röhren zu schonen. Weil nagelneue Röhren und Kondensatoren erst nach einigen Betriebsstunden ihre endgültigen Eigenschaften erreichen, zeigen alle Röhrenamps anfänglich eine gewisse Einspielphase. Unsere Tests beginnen erst danach, der Cayin Jazz 90 läuft also erst ein paar Tage mit Musik aller Art.

Wenn du mit dem Jazz 90 liebäugelst, solltest du dich gleich um einen Standort kümmern: Der Amp ist über einen halben Zentner schwer und erzeugt reichlich Abwärme. Ein nach oben offener Platz auf einem stabilen Möbel ist also Pflicht. Um Kinderhände und Haustiernasen fernzuhalten, steckt ab Werk ein stabiler Stahl-Schutzkäfig über der Röhrenplattform. Wenn du es verantworten kannst, darfst du den Käfig aber nach oben abziehen. Das geht mühelos, weil vier Bananenstecker und -buchsen als Verankerungen dienen.
Unser Fazit zum Cayin Jazz 90
Mit Phono-Eingang, Bluetooth, einem Subwoofer- sowie einem sehr gut klingenden Kopfhörerausgang ist der Cayin Jazz 90 für einen Röhrenamp hervorragend ausgestattet. Die Verarbeitung ist makellos. Beim Klang dürfen sich auch Röhrenspezialist:innen auf eine freudige Überraschung gefasst machen: Sehr ausgewogen, kräftig und überraschend wenig wählerisch beim Lautsprecher, bietet der Jazz 90 Spitzenklang ohne Starallüren.
Technische Daten | |
Leistung | 2x 50 Watt / 8 Ohm, 2x 50 Watt / 4 Ohm |
Eingänge | 2x Line Cinch, 1x Phono (MM) Cinch |
Audio-Ausgänge | 1x Lautsprecher-Paar 4 Ohm/ 8Ohm, Kopfhörer 6,3 mm, Sub Out Cinch |
Quellen kabellos | Bluetooth 5.2 aptX HD / LDAC |
Abmessungen (BxHxT) | 420 x 215 x 379 mm |
Mitgeliefertes Zubehör | Röhrenschutzkäfig, Fernbedienung, 2 Ersatzsicherungen |
Gewicht | 27,5 kg |
Gehäuse-Ausführungen | Schwarz, Silber |
Preis | 2.998 Euro |
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