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Warum ist Temu so günstig? Social Commerce und Weltpostvertrag machen es möglich

Der chinesische Online-Marktplatz Temu versucht mit besonders niedrigen Preisen und individuellen Angeboten schnell neue Kund:innen zu gewinnen. Dahinter steckt ein System. Wir erklären es dir.
temu social commerce Bild: Unsplash / Brooke Cagle / Temu

Wir haben die Temu-App einige Wochen ausprobiert und sind dabei auf zahlreiche überraschend günstige Produkte gestoßen. Bluetooth-Kopfhörer für unter fünf Euro, Bluetooth-Lautsprecher für unter 15 Euro und mobile Beamer für knapp 40 Euro gehören beim Online-Marktplatz, der die hiesigen App-Charts aufmischt, zum ganz normalen Angebot. Die niedrigen Preise kann der Konzern dabei nur anbieten, weil er auf ein bestimmtes System setzt, das in Zukunft auch hierzulande überhandnehmen könnte – dem Social Commerce. Zudem könnte Temu von einem Vertrag zu profitieren, der unter ganz anderen Rahmenbedingungen geschlossen wurde, dem Weltpostvertrag.

Grund Nummer 1 – Schnelles Wachstum, niedrige Preise

Social Commerce beschreibt erst einmal das Aufbauen der Kundschaft für eine neue kommerzielle Plattform über Social Media. Dazu können Kampagnen, traditionelle Werbemaßnahmen und Kooperationen mit Influencer:innen zählen. Das Wichtige: Die Nachfrage muss möglichst schnell auf ein derart hohes Niveau steigen, dass die geringen Gewinnmargen bei den günstigen Produkten sich trotzdem lohnen. In der Anfangsphase eines solchen Online-Handels können sogar Verluste eingeplant sein. Temu hatte für diese Anfangsphase einen enormen Vorteil in der Hinterhand. Dass Rücksichtnahme auf Arbeitsbedingungen bei Temu in dieser Phase unter Umständen keine sonderlich große Rolle spielt, überrascht nicht.

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Temu verspricht Großhandelspreise und hebt den direkten Verkauf vom Hersteller an die Kund:innen hervor. | Bild: Temu

Als Tochterfirma der PDD Holding Co., die bereits den erfolgreichen Online-Shop Pinoduoduo in China betreibt, konnte Temu das notwendige Kapital aufbringen, um einen der beliebten Werbespots während des Super Bowls zu buchen. Dem Bericht eines Komitees der US-Regierung zufolge dürfte der Spot knapp 14 Millionen US-Dollar gekostet und einen Anstieg der App-Downloadzahlen um 45 Prozent herbeigeführt haben.

Schneeballsystem im Großformat?

Hat Temu nun erst einmal Kund:innen angeworben, werden diese mit Sonderangeboten und Gutscheinpaketen dazu veranlasst, weitere Kund:innen anzuwerben. Im Fall von Temu handelt es sich hier um ein ausgeklügeltes Partnerprogramm, dem man auf der Webseite oder in der App mit nur einem Klick beitreten kann. Als Begrüßungsgeschenk winken drei Euro Startguthaben, die innerhalb weniger Tage verfallen. Um mehr Guthaben freizuschalten, muss der eigene Referral-Link von möglichst vielen Neukund:innen nach dem Download der App eingegeben werden. Wichtig ist dabei nur, dass diese die App zum ersten Mal auf ihrem Gerät installieren.

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Die Aufmachung erinnert an Online-Casinos. Als Gewinn stellt Temu Guthaben in Aussicht. | Bild: Temu

Die Neukund:innen bekommen dann von Temu ein Gutscheinbündel ausgestellt. Die Bestandskund:innen, deren Codes benutzt wurden, werden über ein stufenbasiertes Empfehlungssystem für die Menge der erfolgreichen Empfehlungen mit Guthaben entlohnt. Auch eine Provision auf die erste Bestellung neuer Kund:innen, die sich über den Code angemeldet haben, wird dem Guthabenkonto gutgeschrieben. Temu empfiehlt auf der Partnerseite auch direkt Wege, um den eigenen Code möglichst vielen Neukund:innen zugänglich zu machen.

Der Konsum bei Temu soll fester Bestandteil der etablierten Social-Media-Nutzung werden und von viralen Trends profitieren. Der Plan scheint aufzugehen. Auf TikTok kann das Hashtag #temu über zwei Milliarden Aufrufe aufweisen, in den Kommentaren tauschen sich Nutzer:innen über ihre jeweiligen Referral-Codes aus und profitieren gegenseitig von ihren Bestellungen. Temu hat damit einen Kreislauf geschaffen, der sich selbst erhält.

Gamification zur Kundenbindung

Neben dem Partnerprogramm versucht Temu, die Kund:innen auch mittels dauerhafter Belohnungsschleifen zu weiteren Bestellungen anzuregen. Eine getätigte Bestellung wird zum Beispiel mit einem Gutscheinbündel entlohnt, das wiederum erst über mehrere weitere Bestellungen ausgezahlt wird. Regelmäßig erscheint in der App ein Glücksrad, das durch minimale Interaktionen der Nutzer:innen betätigt werden kann und individualisierte Sonderangebote enthält.

Die App konkurriert um die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen nicht mehr nur mit anderen Online-Shops, sondern auch mit Apps wie TikTok und Instagram, die ebenfalls eine umgehende Belohnung versprechen. Temu setzt darauf, dass dieses Bedürfnis nach schnellen, positiven Impulsen den Griff zur Temu-App zur Gewohnheit werden lässt.

Grund Nummer 2 – So spart Temu Porto-Kosten

Einen Vorteil, den Temu gegenüber Online-Händlern hierzulande hat, sind die Versandkosten. Das mag auf den ersten Blick erst einmal absurd erscheinen, schließlich muss Temu die Waren nicht nur von China nach Deutschland versenden, sondern auch noch innerhalb von Deutschland den Versand zu dir nach Hause organisieren. Logisch wäre, dass Temu deshalb deutlich höhere Versandkosten von dir verlangen müsste. Das Gegenteil ist aber der Fall. Temu bietet aktuell auf fast jede Bestellung kostenlosen Versand an, und macht damit vermutlich nicht einmal große Verluste. Außerdem vermeidet Temu Zollgebühren, indem man die verwendeten Pakete so zusammenstellt, dass der Gesamtwert unterhalb der Zollgrenzen des Ziellandes bleibt.

Ein Grund dafür liegt möglicherweise im Weltpostvertrag, der seit 1874 dafür sorgt, dass Unternehmen aus Ländern, die einen niedrigeren wirtschaftlichen Entwicklungsstatus aufweisen als andere Länder, Briefsendungen zu einem Tarif versenden können, der ihrem Inlandstarif entspricht. Dieser Vertrag gilt nur für die „Benannten Betreiber“ des jeweiligen Landes, also besondere Postdienstleister der jeweiligen Länder. In Deutschland ist das die Deutsche Post, beziehungsweise für internationalen Briefverkehr die DHL. In China wird die staatliche China Post als designierter Lieferant gelistet, staatliche Unterstützungszahlen sind also theoretisch möglich.

Stoppen Reformen den Billigversand?

Für Sendungen aus China bedeutete dieser Vertrag lange, dass Warenhäuser zu chinesischen Konditionen Waren nach Deutschland versenden durften, insofern diese in einzelnen Brief- beziehungsweise Päckchenlieferungen versendet wurden. Seit Kurzem hat die DHL Group das Recht, bis zu einem gewissen Umfang über die gezahlten Versandkosten von chinesischen Absender:innen mitzubestimmen. Die Versandkosten, die Kund:innen aus Deutschland an chinesische Händler:innen zahlen müssen, haben aber nicht zugenommen.

Das könnte an bereits abgeschlossenen Verträgen zwischen der DHL Group, dem Weltpostverein und der China Post liegen, die die aktuellen Konditionen für einen gewissen Zeitraum stabilisieren. Eine andere Möglichkeit wären Subventionszahlungen des chinesischen Staates, der chinesischen Unternehmen globales Wachstum ermöglichen möchte. Schließlich ist auch nicht auszuschließen, dass die DHL Group trotz der geringen Abgaben von dem Geschäft profitiert und de Spielraum, den der Weltpostverein ihnen mittlerweile einräumt, bisher nicht ganz ausnutzt.

Der schiere Umfang der Sendungen hat dank Temu schließlich drastisch zugenommen. Die Bundesnetzagentur erwähnt den „wachsenden internationalen Versandhandel“ in einem Bericht über Verhandlungen des Weltpostvereins im Jahr 2023 zwar, geht hier aber nur darauf ein, dass Kund:innen sich eine bessere Nachverfolgbarkeit der Sendungen wünschen. Das wachsende Volumen der Bestellungen scheint also nur bedingt ein Streitpunkt gewesen zu sein.

Das könnte sich in Zukunft ändern

Temus gesamtes Geschäftskonzept basiert auf unendlichem Wachstum. Dass das nicht möglich ist, haben auch schon andere Trend-Shops erfahren müssen. Wann der Höhepunkt erreicht ist, bleibt aber abzuwarten. Bis dahin dürfte die Strategie auch bei westlichen Versandhäusern Aufsehen erregen. Diese werden meist nur als Shops wahrgenommen und nicht als soziale Netzwerke.

Auch andersherum ist das Hybridkonzept noch nicht so aufgegangen wie bei Temu. Instagram Shopping beispielsweise fristet in Deutschland noch immer ein Nischendasein, bietet aufgrund der großen User:innenzahl aber großes Potenzial. Amazons Prime Day zielt auf ein ähnliches Gefühl der Exklusivität und der Community ab, das Nutzer:innen davon überzeugen soll, sofort zuzuschlagen.

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Der Amazon Prime Day macht schon vor, wie bestehende Communities für schnelle Deals begeistert werden können. | Bild: Amazon

Dass die Versandkosten aus China in absehbarer Zeit signifikant ansteigen, ist – unter anderem wegen der Bemühungen um eine Abänderung des Weltpostvertrags – nicht unwahrscheinlich. Der Erfolg des Temu-Modells dürfte einige chinesische Nachahmer hervorbringen, die die Nachfrage nach günstigen, internationalen Liefermöglichkeiten aufrechterhalten und von politischen Nutznießer:innen profitieren. Wir halten dich aber auf dem Laufenden, falls Temu seine Versandpolitik ändern sollte oder wir einen generellen Preisanstieg bemerken.

Bis dahin kannst du dir in unserer Bestenliste der besten Fernseher bis 1.000 Euro einen Überblick über gute Deals verschaffen, die auch aus Deutschland versendet werden.

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