Grell Audio OAE1 im Test: Geht das eigenwillige Kopfhörer-Experiment auf?

- Kopfhörertyp
- Offen
- Frequenzbereich
- 12 - 32.000 Hz (-3 dB), 06 - 44.000 Hz (-10 dB)
- Mitgeliefertes Zubehör
- Kabel 1,8 m (3,5-mm-Klinke, Adapter auf 6,3-mm-Klinke)
- Preis
- 299 Euro
Der Grell OAE1 ist ein eigenwilliger Kopfhörer: Er positioniert die Treiber vor statt über deinem Ohr. Er wartet mit einer Basskraft auf, die wir so nicht von offenen Kopfhörern kennen und ist auch allgemein sehr eigenwillig abgestimmt.
- Schicke, robuste Konstruktion
- Beidseitige Kabel-Steckplätze sorgen für Flexibilität
- Beeindruckend kräftiger Bass für einen offenen Kopfhörer
- Unausgeglichener, teils dumpfer Klang
- Hoher Anpressdruck des Kopfbügels
Axel Grell ist eine bekannte Größe in der HiFi-Welt. In seiner Zeit als Entwickler bei Sennheiser konnte er sich mit legendären Modellen wie dem HD 800 S einen Namen machen. Seit 2021 macht der Profi aber auch eigene Sache: zunächst mit den In-Ear-Kopfhörern TWS/1. 2024 folgte dann der erste Over-Ear-Kopfhörer der jungen Marke. Und der geht technisch seinen ganz eigenen Weg: Seine Treiber sitzen nicht mittig, sondern vorn in der Ohrmuschel. Wie das klingt? Wir haben den Grell Audio OAE1 getestet.
Grell OAE1 im Detail – Von der Stereo-Anlage inspiriert
Der Grell OAE1 verfolgt ohne Frage einen eigenwilligen Ansatz. Egal, wie viele Over-Ear-Kopfhörer du bereits aufhattest – bei den allermeisten dürften die Treiber mittig in der Ohrmuschel gesessen haben. Die Treiber spielten den Ton also relativ geradlinig auf dein Ohr.
Nicht so beim Grell OAE1: Seine Treiber sitzen vorne in der Ohrmuschel. Der Winkel imitiert die Art, wie wir mit klassischen HiFi-Lautsprechern Musik hören: Zwei Soundquellen, die leicht zueinander angewinkelt vor uns stehen. Dieser Aufbau wurde gewählt, da Menschen laut Grell Schall optimal von vorne verarbeiten. Der OAE1 soll außerdem die individuelle Form deines Ohres berücksichtigen. In Kombination sollst du den Schall so natürlich wie möglich wahrnehmen.

Aber einmal zwei Schritte zurück. Die braucht es, um sich die Logik des OAE1 herzuleiten. Grell Audio beginnt seine Erklärung so: In den meisten Situationen nehmen wir Schall von vorn wahr. Etwa bei einem Konzert, im Gespräch bei der Nachbarin oder abends vor der HiFi-Anlage. Befindet sich die Schallquelle links oder rechts von uns, drehen wir ihr den Kopf zu, um sie wieder frontal zu verankern. Die Firma habe in ihren eigenen Untersuchungen herausgefunden, dass das Gehirn Schall aus dieser frontalen Position optimal wahrnimmt.
Jetzt nimmt jeder Mensch Schall anders wahr. Hier kommt die Form deines Ohres ins Spiel. Schall reflektiert sich an deinem Ohr, Kopf und Körper anders, als an der Anatomie deiner Freund:innen. Dadurch unterscheidet sich auch der Frequenzgang an euren Trommelfellen. Erst das Gehirn macht aus dieser individuellen Frequenzkurve eine „neutrale“ Kurve, indem es die Kurve und ihre Spiegelung zusammenrechnet. So hören laut Grell am Ende doch alle das Gleiche. Und um genau diesen Prozess optimal zu simulieren, sitzen die Treiber des OAE1 frontal vor dem Ohr.

Denn je näher die Schallquelle am Ohr sitzt, desto weniger beeinflussen die Beugungen und Reflexionen am Körper den Klang. In seinen ersten In-Ear-Kopfhörern, den TWS/1, hat Grell Audio deshalb Software eingesetzt, „um dem ‚individuellen Hören‘ nahezukommen“. So heißt es auf der Website. Für den OAE1 wollte man hingegen die natürliche Geometrie des Ohres nutzen.
Der Grell OAE1 im Klang-Check
Axel Grell und seine Firma forschen gemeinsam mit dem Institut für Kommunikationstechnik der Leibniz Universität Hannover an diesem individuellen Hören. Das Ganze ist natürlich ziemlich technisch. Näher kannst du dir die Logik des OAE1 noch auf Grell Audios Youtube-Kanal erklären lassen. So spannend Einblicke in die Technik sind, zählt für unseren Test am Ende aber nur eins: Wie sich der Kopfhörer anhört. Und der OAE1 hat es uns nicht leicht gemacht, hier zu einem Fazit zu kommen.
Ein offener Kopfhörer mit Bass?
Abgesehen von der eigenwilligen Treiber-Positionierung ist der OAE1 recht konventionell. Als offener Kopfhörer setzt er eine durchlässige Schallwand sowie akustisch transparente Materialien ein, um einen möglichst freien, verzerrungsfreien Klang zu erzeugen. Offenen Kopfhörern fällt es unserer Erfahrung nach auch leichter, ein Gefühl von Räumlichkeit und Weite zu erschaffen. Auch dem OAE1 gelingt das hervorragend. Im Test hat er uns in diesem Punkt ähnlich gut gefallen wie der Sennheiser HD 600. Vor allem zu den Seiten fächert der Grell-Kopfhörer die Bühne weit auf. Ebenfalls zur gefühlten Luftigkeit trägt die Fähigkeit des OAE1 bei, einzelne Instrumente sehr klar voneinander zu trennen. Selbst in dichten Songs wie Bring Me The Horizons Top 10 staTues tHat CriEd bloOd lässt der Kopfhörer uns stets mühelos die einzelnen Melodielinien voneinander unterscheiden.

Die offene Bauweise hat meist nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile für einen Kopfhörer. Der größte dieser Nachteile: In der Regel haben offene Kopfhörer einen recht schwachen Bassbereich. Durch den geringen Luftdruck hinter der Membran fällt es ihnen schwer, wirklich pumpende Bässe wiederzugeben. Laut Grell Audio soll der OAE1 diesen Nachteil allerdings umgehen. Das konnten wir im Test auch bestätigen – allerdings nur unter Vorbehalt. Der Bass des OAE1 ist tatsächlich so kraftvoll, dass wir beim ersten Hören gern geglaubt hätten, einen geschlossenen Kopfhörer auf dem Kopf zu tragen. So viel Power sind wir von offenen Modellen nicht gewohnt.
Falls Bass für dich vor allem schieben muss, könnte der OAE1 dich also glücklich machen. Allerdings fanden wir auch, dass er für seine Kraftreserven einiges an Präzision opfert. Wir finden, der Sennheiser HD 660 S2 hat hier den besseren Kompromiss gefunden. Auch er wirbt damit, ein offener Kopfhörer mit Bass zu sein, und ist auch wirklich kraftvoller als viele andere offene Modelle. Ganz so kraftvoll wie geschlossene Kopfhörer oder der OAE1 ist er nicht, dafür sind seine Bässe stets präzise, nie waberig oder matschig.

Dominanter Bass, schwache Mitten
Abseits vom Bass- bis tiefen Mittenbereich fährt der OAE1 immer mehr zurück. Stimmen verlieren sich im dominanten Bass, Instrumenten fehlt es an Körper. Das verdeutlicht z. B. The Mountain Goats‘ No Children. Das direkte, fast schon aggressive Gitarrenspiel des Songs büßt über den OAE1 einiges seiner intimen, emotionalen Art ein. Auch höheren Tönen hängt ein künstlicher, leicht hohler Charakter an. Zurück bei I Like That, sind die eingänglichen Hi-Hats kaum als solche zu erkennen. Gleichzeitig haben feine, hohe Töne Probleme, gegen den übermächtigen Bass anzukommen.

Am Ende steht ein Kopfhörer mit einem sehr eigenwilligen Klang, an den wir uns auch nach zahlreichen Hörstunden nicht gewöhnen konnten. Vielleicht sind wir mit zu hohen Erwartungen in den Test gestartet. Schließlich weckt die eigenwillige Konstruktion die Hoffnung, dass hier ein ganz neues Klangerlebnis auf uns wartet. Dieser Erwartung wird der OAE1 in unseren Augen nicht wirklich gerecht. So wirklich unterscheidet ihn nur sein Frequenzgang von der Konkurrenz – und im direkten Vergleich würden wir einen klassisch abgemischten Kopfhörer bevorzugen.
Was dir besser gefällt, ist natürlich Geschmackssache. Denn in einem Punkt hat Axel Grell genauso recht wie die Kölsche Lebensweisheit: Jede Jeck is anders. Suchst du eher nach einem klassischen HiFi-Kopfhörer, würden wir dir den OAE1 nicht empfehlen. Bildest du dir gern deine eigene Meinung und bist bereit, die rund 300 US-Dollar in die Hand zu nehmen, wartet aber ein spannender Test auf dich.
Wie wir andere HiFi-Kopfhörer im Test bewertet haben, zeigt dir ein Blick auf unsere Bestenliste:
Industrielles Design mit dicker Polsterung
Vielleicht ist es dir auf den Bildern schon aufgefallen: Der Grell OAE1 ist alles andere als zierlich. Seine dicken Ohrmuscheln stehen weit vom Kopf ab. Trotzdem ist er einer der hübscheren HiFi-Kopfhörer, die wir bisher testen konnten. Seine plüschigen Ohrpolster erinnern an andere Modelle, an deren Entwicklung Axel Grell beteiligt war – z. B. den Sennheiser HD 820. Besonders springt aber die Rückseite der Muscheln ins Auge. Das Edelstahlgitter und die darunter hervorlugende Felge mit dem Grell-Logo passen perfekt zum industriellen Charme des Kopfhörers.

Seine Konstruktion ist makellos, allerdings an einigen Stellen – wie der Rest des OAE1 – etwas eigenwillig. Da wären zunächst die Steckplätze für die Kabel. Sie liegen verborgen unter kurzen Kunststoffrohren, die aus der Ohrmuschel herausragen. Steckst du das beiliegende Kabel ein, verschlucken diese Rohre den Stecker vollständig. Um ihn zu entfernen, müssen wir vorsichtig ans Kabel greifen und ziehen – das ist ungewohnt und geht gegen alle Prinzipien, die wir normalerweise im Umgang mit Kabeln predigen. Den Kopfbügel musst du außerdem mit recht viel Druck bewegen, um die Größe zu verändern.

Tragekomfort: Polsterung schützt nur bedingt vor Druckstellen
Der OAE1 ist definitiv kein Kopfhörer, den du auf dem Kopf vergessen wirst. Zunächst einmal ist er etwas schwerer als vergleichbare Kopfhörer: Er wiegt 375 Gramm, während z. B. der Sennheiser HD 600 rund 260 Gramm auf die Waage bringt. Außerdem hat er einen vergleichbar hohen Anpressdruck. Selbst, nachdem wir den Kopfhörer über Nacht um einen Stapel Bücher geklemmt hatten, spürten wir noch die Spannung des Kopfbügels.

Dort, wo der Treiber sitzt, ist die Ohrmuschel unter dem Polster zudem etwas dicker. Je nach Kopfform kann diese Stelle genau dort aufliegen, wo Kiefer gern verspannen. Allerdings wurden wir den OAE1 trotzdem erst nach mehreren Teststunden müde. Wahrscheinlich auch, weil vor allem seine Ohrmuscheln üppig gepolstert sind.
Der Grell OAE1 in der Praxis
Der Grell OAE1 wird mit einem Klinkenkabel mit 3,5-mm-Stecker geliefert. Darauf steckt ein Adapter auf 6,3-mm-Klinke. Er findet somit an den meisten DACs und Kopfhörerverstärkern Platz. Wir haben ihn an unserem Chord Hugo 2 getestet, der über mehr als genug Kraftreserven verfügt, um den OAE1 mit seiner Nennimpedanz von 38 Ohm anzutreiben. Auch Smartphones oder Laptops entlocken ihm ausreichend Pegel.

Du bist natürlich nicht auf das beiliegende Kabel beschränkt, sondern kannst auch auf eigene Kabel zurückgreifen. Der Grell-Kopfhörer lässt dir außerdem die Wahl, an welcher Ohrmuschel du das Kabel anschließen möchtest. Bist du z. B. Linkshänder:in, kann es praktisch sein, das Kabel an die rechte Ohrmuschel zu klemmen – und umgekehrt. Es besteht sogar die Möglichkeit, ein Kabel mit zwei Enden zu verwenden und es mit beiden Ohrmuscheln zu verbinden. So viele Optionen bieten dir nur sehr wenige Kopfhörer.

Unser Fazit zum Grell OAE1
Der Grell OAE1 basiert auf einer interessanten Idee: Da wir Musik normalerweise frontal anhören, sollten wir das nicht bei Kopfhörern genauso halten? Am Ende des Experiments steht ein Kopfhörer mit einer schönen, weiten Bühne und fein säuberlich umrandeten Instrumenten, dessen Abstimmung bei uns aber nicht gezündet hat. Sein Bass ist zwar beeindruckend für einen offenen Kopfhörer, aber auch vergleichsweise unpräzise. Der dominante Tiefton will außerdem nicht so recht die Waage zum restlichen Frequenzspektrum finden.
Wenn du gern experimentierst, fette Beats liebst oder diverse Kabel ausprobieren möchtest, ist der OAE1 vielleicht interessant für dich. Dann kannst du dich über einen kompetent gefertigten Kopfhörer freuen, der rundum aus hochwertigen Materialien gefertigt ist und mit einem ungewöhnlichen Design aufwartet.
Technische Daten | |
Kopfhörertyp | Offen |
Wandler | dynamisch |
Impedanz | 38 Ω |
Wirkungsgrad | 100 dB |
Frequenzbereich | 12 - 32.000 Hz (-3 dB), 06 - 44.000 Hz (-10 dB) |
Gewicht | 375 g |
Mitgeliefertes Zubehör | Kabel 1,8 m (3,5-mm-Klinke, Adapter auf 6,3-mm-Klinke) |
Preis | 299 Euro |
Der Grell OAE1 passt doch nicht zu dir? Dann wirf einen Blick auf unsere Liste der besten HiFi-Kopfhörer, die wir getestet haben. Hier findest du bestimmt den passenden Kopfhörer für dich: