Wie kommt der Ton aus der Schallplatte? Vinyl erklärt

Plattenspieler sind Zeitreisende aus der prä-digitalen Ära. Auch in teuren und modernen Anlagen halten sie für viele Hörer:innen die Stellung als beliebteste Musikquelle – und das, obwohl ihre technischen Grundlagen aus dem letzten Jahrhundert stammen. In diesem Ratgeber wollen wir uns diese Grundlagen genauer anschauen. Denn wenn dir Physik und Technik hinter der LP-Wiedergabe ein bisschen vertraut sind, kannst du in Zukunft Probleme in deiner Anlage einfacher lösen und auch die Qualität verschiedener Plattenspieler besser einschätzen.
Was ist überhaupt analog?
Analog – der Begriff kommt aus dem Griechischen und wird auch in nichttechnischen Zusammenhängen oft verwendet. Er bedeutet wörtlich übersetzt „ähnlich“, „verhältnismäßig“ oder „entsprechend“. Eine analoge Aufzeichnung überträgt die Luftdruckschwankungen des Schalls also auf ein anderes Medium, ohne ihren ursprünglichen Verlauf zu ändern. Dieser Verlauf findet sich dann z. B. als lichtdurchlässiges Berg-und-Tal-Muster im schwarzen Rand eines Filmstreifens, als zu- und abnehmende Magnetisierung eines Magnetbands – oder eben als wilde Wellengravur in den Rillen einer LP. Alle Verfahren liefern optisch, mechanisch oder magnetisch genaue Entsprechungen des gespeicherten Signals.

Auf der Vinylplatte kann man das Auf und Ab der Amplitude sogar sehen, allerdings nur bei ganz tiefen Frequenzen. Das kann man leicht ausrechnen. Das erste Stück auf einer LP-Seite liegt bei einem Radius von ungefähr 14 Zentimetern. An dieser Stelle gleitet die Nadel pro Sekunde durch rund 49 Zentimeter LP-Rille. Verteilen wir die 40 Hertz (also Schwingungen pro Sekunde) eines tiefen Basstons auf diese Strecke, erhalten wir eine Wellenlänge von ungefähr einem Zentimeter. Diese Schlangenlinien siehst du mit bloßem Auge, vor allem, wenn sie laut aufgenommen sind.
Im Hochton, etwa bei 10.000 Hertz, beträgt die Wellenlänge nur noch wenige Mikrometer – und das bereits ganz außen auf der LP. Innen wirds noch enger. Denn über die Seite hinweg wird ja der Radius immer kleiner – und damit auch der Umfang.
Wo die analoge Magie beginnt: Der Tonabnehmer
Wie folgt man solchen Mikrometer-Kurven? Mit einer Abtastspitze, die noch kleiner ist. Bei Plattenspielern ist sie Teil des Tonabnehmers, der auf der Nadel durch die Rille gleitet und ihre Bewegungen in Wechselströme umwandelt. Diese Signalströme kannst du dann in Kabeln weiterleiten und verstärken.
Ganz am Anfang der Abtastung steht aber zunächst ein Diamant. Der sitzt am vordersten Ende des Nadelträgers: Einem dünnen, etwa einen Zentimeter langen Metallröhrchen, das unten aus dem Tonabnehmer herausragt. Oft nennt man die ganze Einheit – also Diamantspitze und Nadelträger – einfach „Nadel“. In Kontakt mit der Rille kommt nur der Diamant – und auch von dem nur die äußerste Spitze. Sie ist so fein geschliffen und poliert, dass sie auch den feinsten Auslenkungen der Rillenflanke folgen kann.

Der Nadelträger ist elastisch gelagert. Die Nachgiebigkeit dieser Lagerung muss genau stimmen, um einerseits die Beweglichkeit der Nadel nicht einzuschränken, sie aber andererseits stabil und schlingerfrei in der Rille zu halten.
Am hinteren Ende des Trägers beginnt der Generator, das Herz des Tonabnehmers, wo aus Bewegung ein elektrisches Signal entsteht. Fast immer (Ausnahmen findest du am Ende des Artikels) geschieht das durch elektromagnetische Induktion. So nennt man einen Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus. Ohne ihn gäbe es nicht nur keine Tonabnehmer, sondern auch keine Motoren, Stromgeneratoren, Transformatoren und so weiter.
Tonabnehmer: Musikalische Mini-Stromgeneratoren
Induktion bewirkt, dass in einem Draht eine elektrische Spannung entsteht, wenn man ihn in einem Magnetfeld bewegt. Je schneller die Relativbewegung, desto höher die induzierte Spannung. Du kannst stattdessen auch den Magneten bewegen. Oder sogar nur dessen Feld umpolen wie bei einem Trafo. Hauptsache, das Feld, in dem sich der Draht befindet, ändert sich.
Wickelst du aus dem Draht eine Spule, bekommst du mehr Draht ins Magnetfeld und somit auch mehr Spannung. Noch besser funktioniert das, wenn du die Spule auf einen Kern aus magnetisch leitendem Material wickelst. Und natürlich ist die Spannung auch von der Stärke des Magnetfelds abhängig. Soweit die Grundlagen.

Tonabnehmer nutzen Induktion auf zweierlei Wegen, je nach Bauart. Moving-Magnet-Systeme (MM) führen am hinteren Ende ihres Nadelträgers einen Mini-Stabmagneten. Fest eingebaut im Systemgehäuse sitzen zwei Spulen, in denen dieser Magnet mit seinen Bewegungen entsprechende Ströme induziert. Der Magnet muss winzig sein, damit er jede Auslenkung der Nadel mitmachen kann, ohne ihre Agilität einzuschränken. Meist ist der Magnet zylindrisch, wenige Millimeter lang und nur ein paar Zehntel dick.

Moderne Magnetmaterialien und große, durch Eisenkerne präzise auf den Magneten fokussierte Spulen sorgen für ausreichende Signalspannungen. Diese betragen bei typischen MMs um die fünf Millivolt – bei Vollaussteuerung. Im Vergleich zu einem CD-Spieler – da bekommen wir zwei Volt – ist das aber immer noch sehr wenig.
Moving Coil: Mikrospulen für großen Sound
Man kann den Induktions-Spieß auch umdrehen und statt des Magneten die Spulen tanzen lassen. Dann hat man einen Moving-Coil- oder MC-Tonabnehmer. Diese Bauweise verspricht einige Vorteile, ist aber erheblich schwieriger umzusetzen.
Denn jetzt ist der Magnet fest im Tonabnehmergehäuse verbaut, und die Spulen (für jeden Kanal eine) hängen an der Nadel. Also braucht man möglichst kleine, leichte, extrem präzise Spulen. Meist werden die von Hand unter dem Mikroskop auf winzige Eisenkerne gewickelt. Aus Kupferdraht, der weit dünner ist als menschliches Haar. Damit aus den Spülchen überhaupt eine brauchbare Spannung herauskommt, ist der Magnet hier sehr stark und verfügt über Polplatten, die sein Feld möglichst präzise auf die Spulen konzentrieren.

Um maximale Feldstärke zu erzielen, lassen die meisten MCs ihren Nadelträger durch das vordere Poljoch hindurchtunneln. Das Aluröhrchen scheint also einem Loch in einer kleinen Metallplatte zu entspringen, wenn du von unten und vorne draufschaust. Erst dahinter folgt das Spulenpaket und die elastische Aufhängung. Eigenhändiger Nadeltausch ist hier undenkbar. Zumal zwischen dem beweglichen Teil (dem Nadelträger samt Spulen) und dem Tonabnehmergehäuse auch noch vier mikroskopische Drähtchen verlaufen: die Enden der beiden Spulen, die das Signal zu den Anschlusspins transportieren.
Feiner Sound hat seinen Preis: Was für MC-Tonabnehmer spricht, und was dagegen
Ist die Nadel eines Moving Coil verschlissen oder sonst wie unbrauchbar geworden, musst du das System komplett austauschen. MM-Systeme sind komfortabler, weil ihre Nadel steckbar ist. Preislich liegen Tausch-MCs dagegen oft gleichauf mit MM-Ersatznadeln.

Was genau für die Überlegenheit von MCs verantwortlich ist, ist Gegenstand vieler Diskussionen. Oft wird die angeblich geringere Masse der bewegten Spulen genannt, was aber nicht immer zutrifft. Sicher ist dagegen, dass die Minispulen eine viel geringere Induktivität haben als ihre dicken MM-Geschwister. Oft bestehen sie nur aus wenigen Windungen, was man schon an ihrem geringen Gleichstromwiderstand erkennt, der dann deutlich unter zehn Ohm liegen kann. Aus Sicht der folgenden Verstärkungselektronik ist das ein Riesenvorteil, weil sich Spulen mit hoher Induktivität bei hohen Frequenzen gewissermaßen selbst ausbremsen. MCs, vor allem in der klassischen „leisen“ Bauweise, arbeiten daher mühelos bis in den Ultraschallbereich linear – was auch auf den Hörbereich rückwirkt.

Ein Nachteil der kleinen Spulen ist ihr geringer Wirkungsgrad: Spuckt ein MM-Abtaster immerhin 4–5 Millivolt aus, bringt es ein typisches MC mit der gleichen Messplatte gerade mal auf ein Zehntel davon. Klangliche Feinheiten spielen sich nochmals um Größenordnungen darunter ab. Das Nutzsignal kommt dem unvermeidlichen Eigenrauschen elektronischer Bauteile somit schon ungemütlich nahe. Mit trickreichen Schaltungen und ausgewählten Komponenten lässt sich der Abstand wieder vergrößern, aber der Mehraufwand kostet Geld.
Die niedrige Induktivität kann sich aber auch positiv auf den Störabstand auswirken. Sie macht MC-Systeme weitgehend unempfindlich gegenüber Brummeinstreuungen. Externe Störfelder sind überall. MCs entziehen sich ihrer Wirkung, weil sie vagabundierenden Feldlinien kaum Angriffsfläche bieten. Der niedrige Widerstand des Systems und des MC-Eingangs führt zudem zu einer unempfindlicheren Kabelverbindung bis zum Vorverstärker.
Zusatzaufgabe für den Verstärker
Für deinen Verstärker bedeutet dein Plattenspieler Mehrarbeit. Er muss das relativ laute MM-Signal fünfhundertfach verstärken, bis es CD-Spannungsniveau erreicht. Dafür braucht er eine spezielle Phono-Stufe. Dieser – eingebaute oder separate – Phono-Vorverstärker hat noch eine zweite knifflige Aufgabe: Er muss die Höhen genau definiert absenken und die Bässe anheben. Denn auf Vinyl ist die Musik aus technischen Gründen stark verbogen aufgezeichnet. Erst nach der RIAA-Entzerrung ist der Klang, wie er sein soll.
Zum Glück schaffen heute selbst einfache Verstärker mit Phono-Eingang die RIAA-Korrektur auf wenige Dezibel genau. Was aber nicht heißt, dass alle Phono-Vorverstärker gleich klingen.

Den größten Klangeinfluss besitzen aber in jeder HiFi-Anlage die Schnittstellen zwischen der mechanischen und der elektronischen Welt. Am hinteren Ende der Wiedergabekette ist das der Lautsprecher. Und am vorderen Ende, sofern vorhanden, der Tonabnehmer und seine mechanischen Helfer: Laufwerk und Tonarm. Frust und Freude liegen hier buchstäblich nur Milli- oder gar Mikrometer auseinander. Wenn irgendwas nicht stimmt, ist das nicht zu überhören. Wenn aber alles perfekt ist, dann ist es nicht zu fassen. Nämlich wie man einen so reinen, natürlichen Klang mit einer kleinen Diamantspitze aus einer PVC-Platte kitzeln kann.
Nadelschliffe – eine Wissenschaft für sich
Oben haben wir es ausgerechnet: Um feinen Auslenkungen im Hochton folgen zu können, muss die Abtastnadel sehr fein geschliffen sein. Im einfachsten Fall ist dieser Schliff sphärisch: Die Diamantspitze endet als Halbkugel mit einem Radius von 15–18 Mikrometern. Meist findest du solche „Rundnadeln“ bei preiswerten Abtastern.
Schleift der Hersteller eine sphärische Nadel vorne und hinten etwas ab, ergibt das eine elliptische Spitze. Die seitlichen Radien – also die Kontaktstellen zur Rille – sind jetzt mit um die acht Mikrometer deutlich kleiner. Daher kann dieser Schliff die Höhen sauberer abtasten. Noch schlanker sind Fineline- und hyperelliptische Schliffe, aber da ist noch lange nicht Schluss: In den 70er, 80er Jahren entwickelte man immer komplexere Schliffgeometrien, die sich immer perfekter in die Rillen schmiegten.

Die Kontaktzone solcher Hightech-Schliffe ist zu den Rillenflanken hin sehr schmal, was optimale Hochtonauflösung verspricht. Vertikal, also Richtung Rillengrund, dehnt sich die Abtastkante dafür umso länger. Der Kontakt ist also nicht mehr punkt- oder kreisförmig wie bei einem sphärischen Schliff, sondern nimmt eine immer länglichere Form an. Daher heißt diese Kategorie auch „Line Contact“. Schliffe wie Shibata, Van den Hul, Replicant, MicroLine und viele andere gehören dazu.
Ihre vertikal lange, in Fahrtrichtung schmale Kontaktzone hat viele Vorteile. Neben der verzerrungsarmen, sehr genauen Abtastung und weniger Nebengeräuschen zählt dazu auch geringerer Verschleiß. Und zwar sowohl an der Platte als auch an der Nadel selbst. Denn obwohl diese Schliffe häufig als „scharf“ bezeichnet werden, ist ihre tatsächliche Berührungsfläche größer als die von runden oder elliptischen Nadeln. Das gilt allerdings nur dann, wenn die Nadeln wirklich exakt senkrecht in der Rille stehen. Line-Contact-Nadeln sind somit generell recht justagekritisch.
Es geht auch ohne Induktion: Tonabnehmer-Sonderformen und Exoten
Über 99 Prozent aller aktuellen Tonabnehmer funktionieren mit dem Induktionsprinzip. Neben MM und MC zählt hierzu auch die Moving-Iron-Bauweise (MI), bei der Spulen und Magnet beide fest montiert sind. Das Magnetfeld wird hier durch ein Stück magnetisch leitendes Metall moduliert, das am Nadelträger befestigt ist. Angeschlossen werden MIs genau wie MMs.
Es gibt aber auch Tonabnehmer mit ganz anderem Grundprinzip. Was du bei sehr billigen Plattenspielern heute noch findest, sind Kristall-Tonabnehmer. Diese Systeme machen sich den piezoelektrischen Effekt zunutze: Bestimmte Kristalle erzeugen elektrische Spannung, wenn man sie mechanisch belastet. Kristallsysteme sind extrem billig, robust und brauchen nicht mal einen Phono-Eingang. Ihr Klang hat jedoch wenig mit HiFi zu tun.

Am anderen Ende der Preisskala gibt es Systeme, die optoelektrisch arbeiten. Abgetastet wird ganz normal mit einem Diamanten. Dessen Bewegungen werden nun aber von einer Lichtschranke registriert und in Wechselspannung gewandelt. Ebenfalls ohne Induktion funktionieren Strain-Gauge-Systeme. Sie verwenden als Wandler Dehnmessstreifen, deren Widerstand sich bei Deformation ändert. Auch hier liest ein Diamant die Informationen aus der Rille.
Gänzlich berührungslos arbeiten nur Laser-Plattenspieler, die die Rillenflanken mit gekreuzten Laserstrahlen vermessen. Das erscheint auf den ersten Blick wie die ideale Lösung. In der Praxis dominieren bei diesen Plattenspielern – die seit Jahrzehnten gebaut werden – aber die Probleme. Die Spieler funktionieren zum Beispiel nur mit bestimmten Vinylfarben (hauptsächlich schwarz). Zudem sind sie extrem staubempfindlich, weil Lichtstrahlen nun mal keine Partikel wegschieben können, wie es normale Nadeln auf jeder Plattenseite tausendfach (und meist unbemerkt) tun.
Du überlegst, dir eine Anlage mit Plattenspieler aufzubauen? Dann wirf einen Blick auf unsere Bestenliste. Hier findest du die besten Spieler, die wir getestet haben, im Überblick: