Startseite Musik-Streaming 60 Jahre Kassette: Von Mixtapes, Revolutionen und Bleistiften

60 Jahre Kassette: Von Mixtapes, Revolutionen und Bleistiften

Vor sechzig Jahren revolutionierte Philips mit der Erfindung der Audiokassette die Art und Weise, wie Millionen von Menschen Musik konsumierten. Wir werfen einen Blick zurück und prüfen, ob der Kassette ein zweiter Frühling bevorsteht.
60 Jahre Musik-Kassette Bild: Pixabay / BRRT

Die IFA war schon 1963 eine der wichtigsten Messen für die Vorstellung von technischen Innovationen. Doch nicht alle davon haben die Technikwelt so sehr verändert, wie die Musikkassette, die am Philips-Stand in Berlin erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Kleiner Kasten, große Wirkung

Der erste Kassettenrekorder Philips EL 3300, den die Niederländer am 28. August 1963 der staunenden Weltöffentlichkeit präsentierten, war eine kleine Sensation. Das batteriegetriebene Gerät konnte nicht nur Musik von kleinen Tonbandkassetten abspielen, sondern dank eines Mikrofons auch aufnehmen. Musik auf Tonbändern gab es natürlich schon vorher, allerdings waren die entsprechenden Geräte und Medien für privaten Musikgenuss kaum bezahlbar. Lange vor MP3-Player, Streaming-Diensten und Bluetooth-Kopfhörern machten also tragbare Kassettenrekorder Musik mobil und erschwinglich.

Philips_EL3302
Frühe Kassettenrekorder wie der Philips EL3302 ermöglichten nicht nur die Wiedergabe, sondern auch die Aufnahme von Kassetten. (Bild: Wikipedia / CC BY-SA 3.0)

Die Kompaktkassette, ein Magnetband in einem kleinen Plastikgehäuse, das im Rekorder über zwei Rädchen an einem Magnetkopf vorbeigeführt wurde, entwickelte sich schnell zur günstigen Alternative zur Schallplatte. Zu einem vergleichsweise niedrigen Preis von 299 Mark (heute inflationsbereinigt ca. 700 Euro) konnte bereits der Ur-Kassettenrekorder viele Verbraucher:innen überzeugen.

Audiokassetten waren nicht nur günstig, sondern auch leicht zu transportieren. (Bild: Philips)

Im Vergleich zur Vinyl-Schallplatte war die klassische Musikkassette klanglich praktisch von Anfang an qualitativ unterlegen. Die Hersteller von Abspielgeräten und der Kassetten versuchten natürlich, durch Innovationen wie höhere Bandqualität oder der Dolby-Geräuschunterdrückung die Unzulänglichkeiten der Kassette zu beheben, dennoch hat die Technologie deutliche qualitative Grenzen.

Doch die Kassette ermöglichte Dinge, die Plattenspieler und Vinyl verwehrt blieben. Das Aufnehmen von Musik und die Möglichkeit, sie überall mit hinzunehmen.

Musikalische Revolutionen

In einer Zeit lange vor Spotify, YouTube und Apple Music waren Radio und Plattenläden die wichtigsten Quellen für neue Musik. Das Aufkommen der Musikkassetten samt entsprechenden Recordern löste gleich mehrere musikalische Revolutionen aus. Nicht nur erschienen neue Musikalben ab Mitte der 1960er-Jahre auch auf Kassetten, die Möglichkeit, Songs selbst aus dem Radio aufzunehmen oder gar per Kassettendeck zu kopieren, erzeugte eine gänzlich neue Musikkultur.

Ghettoblaster waren so etwas wie die Bluetooth-Partyboxen der 1980er-Jahre – Kassetten sei Dank. (Bild: Dieter Heißenstein / Pixabay)

Mixtapes, also persönliche Musikzusammenstellungen auf Kassette, entwickelten sich in den 1970er- und 1980er-Jahren zum kulturellen Phänomen. Nicht nur an der heimischen Musikanlage, sondern auch unterwegs wurde die Kassette für viele Musikfans zunehmend zum wichtigsten Medium. Ob via Autoradio, im von dicken Batterien angetriebenen Ghettoblaster oder dem bahnbrechenden Walkman: die Musikkassette revolutionierte den Musikmarkt.

Vor allem Sonys tragbarer Kassettenplayer, der 1979 seine Premiere feierte, sorgte für die wohl größte Boomzeit der Musikkassette. Und auch abseits der Musik hatten die Bänder einen großen kulturellen Einfluss. So wurden Kulthörspiele wie Die drei ???, Benjamin Blümchen oder Bibi Blocksberg in vielen Kinderzimmern primär via Kassette verschlungen – bis zur Toniebox  war es schließlich noch ein langer Weg.

Sony Walkman Kassette
Immer Musik auf den Ohren? Das ging dank des Walkmans schon lange vor iPod und Co. | Bild: Sony

Die Audiokassette bot nicht nur eine neue Hörerfahrung, sondern veränderte auch die Welt der Musiker. Dank ihrer einfachen Aufnahme- und Weitergabemöglichkeiten öffnete sie Türen zu bisher unerforschten kreativen Horizonten. Insbesondere aufstrebende Musikgenres wie Hip Hop und die Anfänge der Punkszene profitierten enorm von diesen Entwicklungen. Sie verdanken der bescheidenen Audiokassette einen bedeutenden Teil ihrer frühen Verbreitung und ihres kulturellen Einflusses.

Der Niedergang der Kassette – und ein mögliches Comeback?

Bei aller Nostalgie, die vielleicht auch du beim Gedanken an alte Kassetten-Sessions empfindest: Als Musikmedium war die MC nie die erste Wahl. Schon initial war die Aufnahmequalität schlechter als bei den Alternativen. Mit der Zeit sorgten mechanischer Verschleiß zudem dafür, dass Kassetten zunehmend schlechter klangen. Allgegenwärtig war zudem die Gefahr des Bandsalats. Gegen verhedderte Tonbänder half oft nur der Griff zum Bleistift, mit dem du die Spulen der Kassette drehen und das Band neu aufwickeln musstest.

Der ständig drohende Bandsalat war neben dem schwammigen Klang die vielleicht größte Schwäche der Kassette. (Bild: PublicDomainPictures / Pixabay)

Spätestens mit dem Beginn der 1990er-Jahre, als sich die CD als Musikmedium etablierte, gingen auch die Absätze von Kassetten und Abspielgeräten immer mehr zurück. Im Zeitalter der komplett digitalen Musik spielten sie dann irgendwann gar keine Rolle mehr.

Doch ganz verschwunden ist die Musikkassette bis heute nicht. Bands und Künstler:innen wie Harry Styles, Taylor Swift, The Weeknd oder die Arctic Monkeys veröffentlichen ihre Alben nach wie vor als kleine Auflage auf Kassette.

Taylor Swift Midnights Kassette
Moderne Nostalgie: Taylor Swift veröffentlicht ihre Musik auch heute noch auf Kassette – und ist damit nicht allein! (Bild: taylorwift.com)

Auch Filme und Serien halten die vermeintlich veralteten Bänder in Ehren. Einen ihrer wohl ikonischsten Auftritte hatte die Musikkassette in den Guardians-of-the-Galaxy-Filmen, in denen Chris Pratt als “Star Lord” zu einem funkigen 70er-Mixtape durch den Weltraum tanzt. Der Soundtrack zum zweiten GotG-Film verkaufte sich 2022 auf Kassette weltweit über 17.000 Mal. Auch im Netflix-Hit “Stranger Things” spielen Mixtapes eine wichtige Rolle. Die Kassette ist eben Kult, sogar der WDR widmet dem Thema zum Jubiläum eine Doku.

Tatsächlich scheint sich der Markt für Musikkassetten immer mehr zu entwickeln. Laut US-Billboard-Charts wurden in den USA 2022 über 440.000 Alben auf Kassette verkauft, was gegenüber 2021 einem Anstieg von 28 Prozent entspricht. Angesichts von gut 80 Millionen verkauften physischen Tonträgern 2022 mag das ein kleiner Anteil sein. Dennoch scheint es sie auch 60 Jahre später noch zu geben: Die treuen Fans der Audiokassette, die beim Musikhören immer einen Bleistift zur Hand haben.

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